15 Fakultaet fuer Biologie (s. auch SFB 230)
Die Fakultaet fuer Biologie gliedert sich in drei Institute. Zum
Botanischen Institut gehoeren die Lehrstuehle Allgemeine Botanik und
Pflanzenphysiologie, Physiologische Oekologie der Pflanzen sowie
Spezielle Botanik/Mykologie mit dem Botanischen Garten. Das
Biologische Institut umfasst die Lehrstuehle Biokybernetik,
Biomathematik, Allgemeine Genetik, Populationsgenetik, Mikrobielle
Genetik und die mikrobiologischen Lehrstuehle Biotechnologie,
Membranphysiologie und Antibiotika. Zum Zoologischen Institut
zusammengeschlossen sind der Lehrstuhl Spezielle Zoologie mit der
Zoologischen Schausammlung und einer Aussenstation am Federsee sowie
der Abteilung Zellbiologie, der Lehrstuhl Entwicklungsphysiologie
sowie der Lehrstuhl Tierphysiologie mit den Abteilungen
Neuropharmakologie, Physiologische Oekologie und
Verhaltensphysiologie. Mit Ausnahme der Abteilung
Verhaltensphysiologie und Neuropharmakologie, der Zoologischen
Schausammlung sowie des groesseren Teils der Mikrobiellen Genetik sind
diese Einrichtungen auf der Morgenstelle untergebracht. Dort befindet
sich auch die Fakultaetsbibliothek. Seit dem Wintersemester 91/92 ist
in der Fakultaet eine interdisziplinaere C4-Professur fuer Ethik in
der Biologie angesiedelt.
Die Fakultaet fuer Biologie ist mit den
Tuebinger Max Planck-Instituten (Biologie, Biologische Kybernetik,
Entwicklungsbiologie und Friedrich-Miescher-Laboratorium) sowie der
Bundesforschungsanstalt fuer Viruskrankheiten der Tiere durch
gemeinsame Lehrveranstaltungen und Forschungsvorhaben eng
verbunden. Auch bestehen intensive fachliche Beziehungen zu den
Fakultaeten fuer Chemie und Pharmazie, Physik, Informatik, zur
Mathematischen Fakultaet, zur Geowissenschaftlichen Fakultaet und zur
Medizinischen Fakultaet. Daraus ergibt sich in Tuebingen insgesamt ein
anregendes wissenschaftliches Umfeld, das zahlreiche auswaertige
Forscher, aber auch interessierte Studenten, Diplomanden und
Doktoranden anzieht.
BOTANISCHES INSTITUT
Die Pflanzenphysiologie hat in Tuebingen eine lange Tradition. Sie
beschaeftigt sich unter anderem mit der Aufklaerung der
Wirkungsmechanismen pflanzlicher Wachstumsregulatoren und
Phytohormone, mit der Untersuchung von Ionen-Transportmechanismen an
Membranen der Zelle (unter anderem auch an denen der Mykorrhiza),
ferner mit der Aufklaerung lichtgesteuerter Signalketten, welche in
pflanzlichen Zellen bei der Veraenderung von Wachstum und Entwicklung
eine Rolle spielen. Die Kontrolle und Regulation dieser Mechanismen
durch zelleigene und aeussere Faktoren, aber auch ihre Beeinflussung
durch toxische (Umwelt-)Verbindungen werden untersucht.
Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Aufklaerung von Struktur, Wirkungsmechanismus
und der biologischen Bedeutung von Naturstoffen aus Hoeheren Pflanzen,
wobei besonders Substanzen mit antibiotischen und insektiziden
Wirkungen im Mittelpunkt stehen. Ferner werden Untersuchungen ueber
die Biosynthese und Enzymatik von Naturstoffen in Zellkulturen und die
enzymatischen Grundlagen fuer die Zellwandsynthese
durchgefuehrt. Weitere Themen sind die Untersuchung von symbiontischen
Zellorganellen (Blaualgen) innerhalb von Pflanzenzellen.
Die Forschungsprojekte des neu eingerichteten Lehrstuhls fuer
Physiologische Oekologie der Pflanzen haben Fragen der Baumphysiologie
zum Gegenstand. Im Vordergrund steht dabei der Versuch einer
ganzheitlichen Betrachtungsweise biochemischer Vorgaenge, vor allem
unter dem Aspekt der Photoassimilatverteilung. Gaswechselmessungen an
Blattorganen werden korreliert mit biochemischen Regulationsvorgaengen
im Kohlenhydrat- und Energiestoffwechsel. Im Wurzelbereich liegt,
eingebettet in das Graduiertenkolleg "Organismische Interaktionen",
der Schwerpunkt auf der Charakterisierung der biochemischen
Wechselwirkung zwischen den Partnern der Pilz-Baumwurzel-Symbiose
(Ektomykorrhiza). Mittels hochsensitiver Analysenmethoden wird hier
die symbiosebedingte Vernetzung des Protein-, Kohlenhydrat- und
Aminosaeure-Stoffwechsels untersucht. Stammanalysen runden das Konzept
ab. Hier sind besondere Vorgaenge der Assimilatverlagerung und der
Differenzierung von Interesse. Die Projekte konzentrieren sich daher
besonders auf die biochemische Analyse von Vorgaengen im Bereich des
Kambiums und des Splint-Kernholz-Ueberganges. In allen Projekten
werden in vitro- und Kammer-Experimente flankiert durch
Freilanduntersuchungen zum Einfluss von Standortfaktoren
(Mineral-/Stickstoff-Versorgung; Schadstoffe) auf die jeweiligen
Parameter.
Am Lehrstuhl Spezielle Botanik/Mykologie sind
Forschungs- und Lehrprojekte verankert, die sich vergleichend mit
organismischer Diversitaet und Interaktionen
beschaeftigen. Entsprechend zaehlt auch die Vermittlung der
Pflanzenkenntnis, sowie die Systematik der Niederen und Hoeheren
Pflanzen und Pilze zum einschlaegigen Aufgabenbereich. Die
organismische Kenntnis wird vorrangig zur Untersuchung funktionaler
Zusammenhaenge in Waldoekosystemen, zur Klaerung zellulaerer
Interaktionen zwischen Pilzen und Pflanzen und zur Bearbeitung
systematischer Fragestellungen eingesetzt. Unter dem Ueberbegriff
"Organismische Interaktionen in Waldoekosystemen" sind Freiland- und
Laboruntersuchungen zur Struktur und Funktion von
Pilz-Baumwurzel-Symbiosen (Mykorrhizen), von Parasiten (Rot- und
Weissfaeuleerregern), wie auch von lange "verborgen im Inneren" der
Baeume lebenden Endophyten zusammengefasst. Diese Arbeiten sind
langfristig konzipiert und mit Projekten des Forstes koordiniert. So
werden drei kuerzlich zu Bannwaeldern ausgewiesene Sturmwurfflaechen
im Bereich der Forstdirektion Tuebingen pilzoekologisch als
interdisziplinaere Projekte angewandter Oekologie untersucht.
Die Diversitaet tropischer Pilze wird in drei koordinierten Vorhaben in
Costa Rica studiert. Ein entsprechendes Programm hat sich aus einer
Kooperation mit der Chung-Hsing-Universitaet in Taichung, Taiwan,
entwickelt.
Die Systematik der Basidiomyceten ist seit Jahren das
zentrale Forschungsgebiet des Lehrstuhls. Besonders die
Hauptparasitengruppen der Rost- und Brandpilze, diverser Verwandter,
aber auch Hefen der Basidiomyceten und "Hoehere Pilze" werden weltweit
und vergleichend morphologisch, ultrastrukturell sowie
chemotaxonomisch untersucht. Die Feinstrukturuntersuchungen fuer
systematische Fragestellungen und zur Thematik der "Organismischen
Interaktionen" werden auch weiterhin zu den wichtigsten
Forschungsthemen zaehlen. Ein weiterer Forschungsaspekt in der
Speziellen Botanik sind karyosystematische Untersuchungen an Hoeheren
Pflanzen, z. B. an Wildhafern, Iris- und Rauhblattgewaechsen.
GEMEINSAME PROJEKTE
Die Tuebinger botanischen Lehrstuehle haben
bereits im Schwerpunkt "Pilz-Baumwurzel-Symbiose" des
Landesforschungsfoerderungsprogramms erreicht, dass in der hiesigen
Botanik ein Zentrum der Waldschadensforschung entstanden
ist. Schwerpunkte der Umweltforschung sind insbesondere Untersuchungen
zur Funktion und Vitalitaet von Waldbaeumen in Abhaengigkeit von der
Veraenderung abiotischer Faktoren, wie Luftqualitaet, Bodenversauerung
und Stickstoffeintrag, sowie organismischer Interaktionen, die sich
durch Symbiosen positiv oder durch Parasitismus schaedigend
auswirken.
Zwischen den drei Lehrstuehlen "Allgemeine Botanik und
Pflanzenphysiologie", "Spezielle Botanik/Mykologie" und
"Physiologische Oekologie der Pflanzen" besteht eine intensive
Zusammenarbeit in verschiedenen Projekten, die sich mit
umweltrelevanten Fragen in Waldoekosystemen befassen. Diese Projekte
sind weitgehend drittmittelfinanziert durch DFG, BMFT, PEF und EG
sowie durch Mittel von Ministerien der Landesregierung unterstuetzt. -
Am Lehrstuhl "Allgemeine Botanik und Pflanzenphysiologie" werden
besonders Untersuchungen auf zellulaerer Ebene durchgefuehrt. Unter
dem Aspekt "Organismus/Umwelt" kommt neben der Pigmentanalytik
besonders membranphysiologischen und hormonellen Fragestellungen eine
wichtige Funktion zu. - Eine Zentrale Aufgabenstellung fuer den
Lehrstuhl "Physiologische Oekologie der Pflanzen" ist in der
Erforschung der physiologisch-biochemischen Umsetzung von
Aussenfaktoren (z. B. Klima, Naehr- und Schadstoffe) durch den
Stoffwechsel von Pflanzen zu sehen. - Dem Lehrstuhl "Spezielle
Botanik/Mykologie" kommen die Untersuchungen auf der Organismenebene
und der Feldoekologie zu. Die Feinstrukturuntersuchungen zur Thematik
der "Organismischen Interaktionen" besitzen hierbei einen besonderen
Stellenwert.
BIOLOGISCHES INSTITUT
In der Biokybernetik wird an verschiedenen
wirbellosen Tieren (Kaefer, Schmetterlinge, Wasserwanzen, Krebse)
untersucht, wie sich Organismen in ihrer Umwelt orientieren. In
Experimenten, in welchen eine vereinfachte und reproduzierbare Umwelt
dargeboten wird, und mit Hilfe automatischer Datenerfassung und
Auswertung gelangt man zu Aussagen ueber die neuronalen Mechanismen
des Verhaltens.
In der Biomathematik werden mathematische Modelle
fuer biologische Vorgaenge entwickelt. Neben Arbeiten ueber Diffusion
in Netzwerken und Nervennetzen, Parameteridentifikation, Theoretische
Populationsgenetik, Dynamische Systeme, sind besonders Arbeiten zur
nichtlinearen Demographie und zur Modellierung der Ausbreitung sexuell
uebertragener Krankheiten sowie allgemein die Untersuchung
strukturierter Populationen zu nennen. Es werden die fuer viele
Gebiete der Naturwissenschaften wichtigen nichtlinearen
Reaktions-Diffusionsgleichungen erforscht. Ein weiterer Schwerpunkt
besteht im Bereich der Simulation und der rechnergesteuerten
Methoden.
Die Allgemeine Genetik befasst sich in ihrer Forschung
mit der genetischen und molekularen Analyse, der Regulation und der
Genexpression bei Pflanzen (in erster Linie). Es handelt sich dabei
zum einen um die Hitzestressantwort, die zur Auspraegung von
Thermotoleranz fuehrt und die u. a. mittels geeigneter gentechnischer
Ansaetze in transgenen Tabak- und Arabidopsispflanzen untersucht
wird. Genomorganisation und Transkription wird auch am Beispiel
ribosomaler RNA Gene bei verschiedenen Pflanzenspezies
untersucht. Diese und andere repetitive DNA (Satelliten DNA) werden
zur Identifizierung von Arten und Sorten von Kulturpflanzen
(Echinacea, Solanum) und Fusionshybriden benutzt.
An tierischen Objekten wird die Struktur und Funktion von Genen und
Proteinen/Enzymen bei der Eiablage der Muecken (Sciara) bzw. im
Nukleinsaeurestoffwechsel (Saeuger) oder im myotonen Mausmuskel
untersucht. Dabei werden genetische, zytogenetische und molekulare
Methoden angewandt.
In der Abteilung fuer Pflanzenvirologie werden
hochempfindliche immunologische Methoden zum Nachweis pathogener
Viren, Bakterien und Pilzen entwickelt bzw. zum Testen antiviraler
Substanzen eingesetzt.
In der Populationsgenetik wird am Beispiel
der Arten der Drosophila obscura-Gruppe (Taufliegen) sowie Arten der
Gattung Dolichopoda (Hoehlenschrecken) die molekulare Struktur sowie
die Evolution hochrepititiver Satelliten-DNAs untersucht. Die
innerartliche und zwischenartliche Variabilitaet der Mitochondrien-DNA
bei Drosophila ist ebenfalls Gegenstand intensiver
Untersuchungen. Weiterhin wird bei Drosophila subobscura eine
mitochondrielle Verlust-Mutation molekulargenetisch
analysiert. Aehnliche Mutationen sind beim Menschen als Ursache von
Myopathien bekannt.
In enger Zusammenarbeit mit dem Tuebinger
Lehrstuhl fuer Tropenmedizin und Humanparasitologie werden molekulare
Sonden entwickelt, mit deren Hilfe einzelne Larven von Onchocerca
volvulus (Fadenwuermer), dem Erreger der "Flussblindheit", in der
uebertragenden Muecke von Larven anderer Onchocerca-Arten
unterschieden werden koennen. Derartige Sonden sind fuer die Kontrolle
der Wirksamkeit von Bekaempfungsmassnahmen von entscheidender
Bedeutung.
In einer Computer-Simulation sollen die Bedingungen
untersucht werden, unter denen freigesetzte Organismen sich in einem
Oekosystem ausbreiten koennen. Die Ergebnisse sind fuer die
Risikoabschaetzung bei der Freisetzung gentechnisch veraenderter
Organismen wichtig.
Die Mikrobiologie ist mit vier Lehrstuehlen
in einer thematischen Breite und methodischen Vielfalt wie sonst an
keiner deutschen Universitaet vertreten. Drei der Lehrstuehle bilden
den Kern des Sonderforschungsbereichs 323 "Mikrobielle Grundlagen der
Biotechnologie, insbesondere prokaryontische Stoffe mit Wirkung auf
Eukaryonten". Der vierte Lehrstuhl steht zur Wiederbesetzung
an. Der/die Stelleninhaber/in soll sich dem Sonderforschungsbereich
323 anschliessen.
Die Mikrobielle Genetik stellt ein Bindeglied
zwischen Mikrobiologie und Genetik dar. Schwerpunkte der Forschung
sind genetische und biochemische Studien zur Biosynthese von
Antibiotika bei Streptomyceten und Staphylokokken, die Regulation der
Genexpression, der Proteintransport bei Staphylokokken und
Untersuchungen zur Stabilitaet und Mobilitaet von Plasmidvektoren.
Die Mikrobiologie/Biotechnologie bearbeitet die Faehigkeit
anaerober Bakterien und Organismengemeinschaften zum Abbau organischer
Verbindungen, die Energetik und Enzymologie der Schluesselreaktionen,
ihre oekologische Bedeutung sowie ihre moegliche Anwendung bei der
Beseitigung problematischer Abfaelle und zur Synthese ungewoehnlicher
neuer Metabolite. Weiterhin werden der Transport und die Speicherung
von Eisen in Pilzen und Bakterien sowie die Funktionen von Hopanoiden
in Membranen untersucht. Der Lehrstuhl wird demnaechst neu besetzt.
Die Mikrobiologie/Membranphysiologie studiert die molekularen
Mechanismen Rezeptor-abhaengiger Aufnahmesysteme fuer Eisen und
toxische Proteine, die Synthese, Wirkungsweise und den Export von
Toxinen, sowie die Rolle der Eisenversorgung fuer die Virulenz
Gram-negativer Bakterien.
Die Mikrobiologie/Antibiotika
untersucht den mikrobiellen Sekundaerstoffwechsel mit dem Ziel, seine
Vielfalt und Bedeutung zu erfassen und die Produkte auf ihre
biologische Aktivitaet und Anwendung in der Pharmazie und im
Pflanzenschutz zu pruefen.
In dem 1986 eingerichteten
Sonderforschungsbereich 323 (Mikrobiologische Grundlagen der
Biotechnologie) fanden sich Arbeitsgruppen aus der Mikrobiologie, der
Mikrobiellen Genetik, der Biochemie, der Organischen Chemie, der
Pharmazeutischen Chemie und der Infektionsbiologie der Universitaet
Tuebingen zusammen. Diese Gruppen verfolgen das gemeinsame Ziel, die
enormen biosynthetischen Faehigkeiten der Mikroorganismen zu nutzen,
um neuartige biologisch aktive Naturstoffe zu gewinnen. Mit neu
entwickelten Testsystemen werden Produzenten unbekannter Substanzen
gesucht, die Zellen unter kontrollierten Bedingungen fermentiert, die
Produkte isoliert, ihre Struktur aufgeklaert und ihre Wirkungsweise
und Biosynthese untersucht. Dabei handelt es sich um hoch- und
niedermolekulare Produkte. Schwerpunkte der Forschung sind
Antibiotika, und hier vor allem Nikkomycine, Lantibiotika,
Eisenkomplexverbindungen und ihr Transport, die Sekretion von
Proteinen aus Gram-positiven und Gram-negativen Bakterien, die
Reizverarbeitung von Paramecien, Naturstoffanalytik und -synthese. Als
Testsystem fuer die Untersuchung der Wirkungsweisen dienen Zellen
(Bakterien, Pilze, neuronale Zellinien und Paramecien), Rezeptoren,
Ionenkanaele, neuronale Signaltransduktionsketten und Enzyme aus
diesen Zellen. In diesem Zusammenhang stehen auch Untersuchungen zu
den spezifischen Wechselwirkungen zwischen Pro- und Eukaryonten
(Adhaesion, Invasion, Toxinwirkung).
Der Sonderforschungsbereich 323 wurde 1991 mit 3 161 800 DM gefoerdert.
ZOOLOGISCHES INSTITUT
Die Spezielle Zoologie befasst sich vorwiegend
mit der vergleichenden und funktionellen Morphologie sowie der
phylogenetischen Systematik ausgewaehlter Tiergruppen. Dabei wird der
ontogenetischen Entwicklung besondere Beachtung geschenkt. Wie bisher
bildet das Studium von Protisten einen Schwerpunkt der Untersuchungen;
seit 1987 werden auch mehrere Wirbeltiergruppen bearbeitet. Die
konstruktionsmorphologischen Untersuchungen zur Ontogenese des
Wirbeltier-Schaedels sind z. T. in den SFB 230 "Natuerliche
Konstruktionen - Leichtbau in Architektur und Natur"
eingebunden. Weitere Arbeitsgebiete sind die Morphologie und
Systematik der Arthropoden und Mollusken. Die
faunistisch-oekologischen Untersuchungen im Naturschutzgebiet Federsee
wurden in erweitertem Umfang (mit Unterstuetzung des Ministeriums fuer
Umwelt und des Ministeriums fuer Landwirtschaft und Forsten)
fortgesetzt.
Die Zellbiologie untersucht bei tierischen
Einzellern (Ciliaten) die Organisation des Genoms sowie die Struktur
und Steuerung verschiedener Gene (z. B. fuer Tubulin,
Calmodulin). Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Analyse der
Verwandtschaftsverhaeltnisse von Ciliaten und von niederen Vielzellern
anhand unterschiedlicher molekularer Merkmale
(z. B. DNA-Sequenzanalyse).
In der Entwicklungsphysiologie werden
Probleme der Fortpflanzung und Entwicklung bei Insekten, vor allem bei
Bienen, untersucht. Analysiert wird beispielsweise die Wirkung von
Hormonen und Neuropeptiden bei kastenspezifischen Prozessen wie der
Morphogenese, der Regulation von Organfunktionen und der
Fertilitaetskontrolle. Die Zusammensetzung von Pheromonen und ihre
Funktionen bei der Paarung und der Koeniginnen-Dominanz in Kolonien
sozialer Bienen sind chemisch-oekologische Aspekte, die auch bei
Untersuchungen der Parasit-Wirt-Beziehung in der Varroatose von
Honigbienen sowie bei Kuckucksbienen verfolgt werden. Mit
molekularbiologischen Ansaetzen wird ueber die Struktur des
Honigbienen-Vitellogenins und die Kasten- und Geschlechts-spezifische
Vitellogenin-Synthese gearbeitet.
Das Interesse der
Tierphysiologie gilt der Aufklaerung der neuralen Mechanismen des
Verhaltens von Wirbeltieren an den Beispielen der Echoortung von
Fledermaeusen, der akustisch ausloesbaren Verhaltensreaktionen von
Ratten, des Jagd- und Fressverhalten von Frettchen, der Tagesperiodik
von Affen und der Schreckreaktion von Fischen.
Die Neuropharmakologie arbeitet verhaltenspharmakologisch und
neurochemisch an der Ratte. Es wird untersucht, in welcher Weise
Uebertraegersubstanzen des Gehirnes an der Steuerung von Verhalten
beteiligt sind. Damit soll ein Beitrag zum Verstaendnis und zur
Therapie von Erkrankungen des menschlichen Gehirns geleistet werden.
In der Abteilung Physiologische Oekologie werden Auswirkungen von
Umweltchemikalien auf Nicht-Zielorganismen untersucht. Der Schwerpunkt
liegt bei den toxischen Auswirkungen von Dioxinen auf die
Fortpflanzung der Fische (Forschungsschwerpunkt
Oekotoxikologie). Mehrere limnologische Arbeiten erstrecken sich auf
Fliessgewaesser und Baggerseen im Raum
Tuebingen-Schoenbuch. Untersuchungen zum Arten- und Biotopschutz
wurden im Naturpark Schoenbuch durchgefuehrt. Eine zweite landesweite
Kartierung der Fledermausbestaende konnte abgeschlossen werden. Im
Bereich der experimentellen Oekologie wurden Anpassungsmechanismen von
Saeugetieren (Bereich Fortpflanzung) an extreme Umweltbedingungen
erforscht.
Die Verhaltensphysiologie erforscht das Orientierungs-
und Navigations-Verhalten von Voegeln und wandernden Schmetterlingen,
z. T. in Nord- und Suedamerika, arbeitet an verhaltensoekologischen
Fragen bei Insekten, Fischen und Voegeln sowie an Lemuren und Tanreks
in Madagaskar.
In Suedbrasilien wurde 1988 die Tuebinger
Biologische Forschungsstation an der PUC-Universitaet in Porto Alegre
eroeffnet. In Zusammenarbeit mit dortigen Arbeitsgruppen werden
tropenbiologische Probleme untersucht. Dazu gehoeren die Reproduktion
von Wildbienen, ihre coevolutiven Beziehungen zu Bluetenpflanzen,
Trachtnutzung und Bestaeubung durch stachellose Bienen im Regenwald,
Raeuber-Beute-Chemokommunikation bei sozialparasitischen stachellosen
Bienen und tiergeographisch-oekologische Fragen in der Uebergangszone
der Neotropen in gemaessigte Klimate. Mit der Tuebinger Aussenstation
verfuegt erstmals eine deutsche Universitaet ueber eigene Labors an
einer lateinamerikanischen Universitaet innerhalb der Tropen. Sie
werden fuer Forschung und Lehre, u. a. fuer tropenbiologische
Exkursionen, intensiv genutzt.
Arbeitsgruppen aus der Tierphysiologie, der Verhaltensphysiologie, der
Neuropharmakologie und der Biokybernetik bilden einen wesentlichen Bestandteil des
faecheruebergreifenden Sonderforschungsbereichs 307 "Neurobiologische
Aspekte des Verhaltens und seiner pathologischen Abweichungen". Der
SFB verfolgt das Ziel, durch Zusammenarbeit von Gruppen aus der
Neurobiologie, Psychiatrie, Psychologie, Biologie und aus dem Max
Planck-Institut fuer biologische Kybernetik, die Prinzipien der
neuralen Organisation von Verhalten bei gesunden und kranken Menschen
sowie bei Tieren zu erforschen. Je nach Thematik stehen
verhaltensphysiologische, psychologische, neurophysiologische,
neuroanatomische, pharmakologische oder systemtheoretische Methoden im
Vordergrund.
Die C4-Gastprofessur "Ethik in der Biologie" befasst sich mit den
Normen oekologischer Ethik mit dem Ziel, nachvollziehbare, in eine
kohaerentistische Epistemologie einbettbare Kriterien oekologischer
Ethik zu entwickeln. Sie setzt sich auch mit Problemen der
strukturellen Rationalitaet auseinander.
Die verstaerkte Anwendung molekularbiologischer Arbeitstechniken in der Biologie hat
in den letzten Jahren eine Kostenexplosion verursacht. Die Forschung
musste deshalb in staendig steigendem Masse durch Drittmittel getragen
werden. Manche Projekte werden zu 90% aus Drittmitteln finanziert. In
vielen Bereichen waere eine ordnungsgemaesse Lehre ohne Drittmittel
nicht moeglich. 1991 standen der Fakultaet 5 385 407 DM an
Drittmitteln zur Verfuegung. Es zeichnet sich ab, dass aufgrund des
Nachholbedarfs in den neuen Bundeslaendern mit einem Rueckgang dieser
Mittel gerechnet werden muss. Die Luecken im regulaeren Etat werden
dann sichtbar werden.
Ein nach wie vor gravierendes Problem ist
der Ersatz veralteter oder abgenutzter Geraete. Durch den starken
Technologieschub in der Mess- und Analysentechnik und durch
veraenderte Fragestellungen in der Forschung sind aeltere Geraete oft
nicht mehr einsetzbar. Die dringend erforderliche Ersatzbeschaffung
kann aus dem regulaeren Etat nicht geleistet werden. Eine
unzureichende Grundausstattung macht die Beschaffung weiterer
Drittmittel oftmals unmoeglich.
Der Trend zu mehr internationaler
Verbundforschung in immer groesseren Komplexen, vor allem innerhalb
der EG, setzt sich fort. Das geringe Volumen der Mittel fuer
Reisebeihilfen erschwert die dazu erforderlichen Kontakte. Auch die
schlechte raeumliche Situation der Fakultaet behindert die
Forschung. Fuer die biotechnologisch ausgerichteten Arbeitsgruppen und
die Tierhaltung muessen bessere Bedingungen geschaffen werden. Die
Unterbringung der Verhaltensphysiologie, Neuropharmakologie und
Mikrobiellen Genetik im Bereich der Morgenstelle kann nicht laenger
aufgeschoben werden. Weitere Laborflaechen sind dringend notwendig, um
der sich weltweit abzeichnenden Expansion der Biologie Rechnung zu
tragen. Die Etablierung neuer Forschungsgebiete (z. B. der
Entwicklungsgenetik) muss ermoeglicht werden. Durch Auslagerung von
Arbeitsgruppen in das im Bau befindliche Verfuegungsgebaeude erhofft
sich die Fakultaet eine Verbesserung der Raumsituation.
Die Fakultaet hat im WS 1992/93 1476 eingeschriebene Studenten (ohne
Doktoranden), davon studieren 1186 im Diplom-Studiengang. Um den
vielen Diplombiologen bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt
einzuraeumen, bedarf es einer anspruchsvollen Ausbildung. Die
Vermittlung molekularbiologischer Arbeitstechniken sowie der Einsatz
moderner Geraete in der Lehre sind unerlaesslich. Verursacht durch die
schwierige Lage auf dem Arbeitsmarkt streben ausserdem immer mehr
Absolventen die Promotion an. Die Zahl der Promotionen ist seit 1987
von 50 pro Jahr auf 86 im Studienjahr 1991/92 angestiegen. Durch die
Einrichtung der Graduiertenkollegs "Neurobiologie", "Mikrobiologie"
und "Organismische Interaktionen in Waldoekosystemen" konnte die
schlechte Situation bei der Promotionsfoerderung verbessert werden und
den Doktoranden waehrend der Promotionsphase eine zusaetzliche
fachspezifische Ausbildung angeboten werden.
Im Berichtszeitraum wurden von Mitgliedern der Fakultaet folgende
Kongresse und Symposien organisiert:
84. Jahresversammlung der Deutschen Zoologischen
Gesellschaft, 20. 5. -25. 5. 1991, Zoologisches Institut
9. Wissenschaftliche Tagung der Gesellschaft fuer
Entwicklungsbiologie, 13. 3. -16. 3. 1991, Biologisches Institut und
Max Planck-Institut fuer Entwicklungsbiologie
Symposium "Biologie Sozialer Insekten", Mai 1992, Blaubeuren
Jahrestagung der Gesellschaft fuer Genetik vom 27. 9. -30. 9. 1992, Biologisches
Institut
Tuebinger Gespraeche zur Chemie von Mikroorganismen, Herbst
1990, 1992, 1993, SFB 323
INSERM/NJH-Konference ueber "Antisense
Oligonucleotides and Ribonucleases H", 27. 9. -2. 10. 1992, Arcachon,
Frankreich, Biologisches Institut und Universitaet Bordeaux